Im Herbst an den Darß zu fahren, zählt bei vielen Naturfotografen zu den festen Programmpunkten eines Jahres. Entweder wegen der Hirschbrunft, der Kraniche oder wegen beidem. Ich muss zugeben, dass mich die Möglichkeit, Kraniche zu fotografieren, nicht dazu bewegen könnte, die lange Fahrt auf mich zu nehmen. Viele große, graue, in der Regel laut trompetende Vögel, deren Eleganz und Schönheit oft besungen wurde, sich mir aber nicht erschließt. Was findet Ihr am Kranich? Seht Euch doch mal die Blaumeise an. Das ist eine Schönheit! Oder das Rotkehlchen – ein wirklicher Hingucker! Aber diese dünnbeinigen, immer affektiert schauenden Hippen sind nun wirklich jenseits von attraktiv. Und die Hirschbrunft – wo auch immer – wirkte bislang auch noch nie so anziehend, dass ich dafür eine Reise – und sei es auch nur eine kurze – unternommen hätte. Recht verständnislos habe ich in der Vergangenheit in den Foren und sozialen Medien die Posts von Fans der Hirschbrunft angesehen, die ihre Vorfreude auf die bevorstehende Hochsaison testosterongetriggerter, röhrender Teilzeitgeweihträger kaum noch im Zaum halten konnten. Am Tier kann es doch nicht liegen, dass alle so einen verklärten Blick bekommen, wenn sie davon berichten, dachte ich. Es muss etwas anderes sein, dass so sensationell ist, und zwar sowohl beim Kranich, als auch beim Rothirsch.
Also habe ich im Rahmen eines zweiwöchigen Urlaubs mit Frau und Tochter versucht, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Schon in der Vergangenheit haben wir häufig Urlaub im Fischland Zingst/Darß gemacht, allerdings bislang nie im Herbst. Vom Licht des späten Septembers und frühen Oktobers versprach ich mir viel. Denn selbst wenn mich der Zauber von Hirsch und Kranich nicht erreichen sollte, so war eines doch gewiss: der Darßwald im Nebel, der Sonnenuntergang über der möglichst unruhigen Ostsee, wie auch Wildschwein und Fuchs würden mich sicher begeistern.
Ich habe nicht einen Fuchs fotografiert. Und auch nur einen aus der Ferne gesehen. Wildschweinaufnahmen waren mir auch keine wirklich schönen vergönnt und mich beschlich auf meinen Fahrradtouren durch den Wald immer mehr das Gefühl, dass irgendjemand wollte, dass ich mich auf Hirsch und Kranich einlassen möge. Ich neige leider dazu, das, was ich schon einmal vernünftig fotografiert habe, erneut zu fotografieren und nur selten kommt dabei wirklich etwas Neues heraus. In der Regel sind die Aufnahmen beim zweiten schlechter als beim ersten Mal und erst nach vielen Versuchen und einer Zeit des „Sackenlassens“ kommen zum Portfolio wirklich bereichernde Bilder dazu.
Wenn man aber bestimmte Spezies an bestimmten Hotspots noch gar nicht fotografiert hat, steht man den Möglichkeiten vor Ort nicht nur unbedarft, sondern auch unvoreingenommen gegenüber. Auf keinen Fall darf man versuchen, dieselben Bilder zu machen, wie andere. Ich habe die beste Erfahrung damit gemacht, einfach drauflos zu fotografieren und auf die kreativen Momente zu hoffen, die sich in der Vergangenheit immer mal wieder eingeschlichen haben.
Allerdings sollte sich in meinen Augen auch die kreative Naturfotografie an der Realität orientieren. Sie verfehlt ihren Zweck, wenn die Verfremdung so stark ist, dass man nicht mehr erkennen kann, wo die Aufnahme entstanden ist. Wenn der Ort der Aufnahme keine Rolle mehr für das Motiv spielt, dann kann man sich den mitunter weiten Weg sparen
Es sollte also noch erkennbar sein, dass der Hirsch nun mal nicht im heimischen Wildpark röhrt und auch nicht in der Lausitz, sondern im Schilf der Nationalpark Kernzone am Darßer Ort steht. Nun ist die Kulisse, vor der die Hirschbrunft im Fischland stattfindet, so typisch und einmalig, dass man vielleicht einmal versuchen sollte, lauter Bilder zu machen, denen man ihren Entstehungsort nicht ansieht. Eine Aufgabe für einen zukünftigen Besuch…
Was den Hirsch als Fotoobjekt angeht, fühlte ich mich nach den zwei Wochen sowohl bestätigt als auch widerlegt. Und das liegt vor allem an der Landschaft, die nun wirklich überhaupt nichts mit der üblichen Kaminzimmerromantik zu tun hat, mit der die Hirschbrunft so häufig vergesellschaftet ist. Meeresrauschen, Schilfgürtel, Morgendunst, überfliegende Seeadler und Kolkraben – um nur einige Beispiele zu nennen – sind Zutaten, die am Darß zu einem Naturerlebnis beitragen, das seine Wirkung auch auf mich nicht verfehlt hat. Die Mischung aus Andacht und Begeisterung, die so viele Naturliebhaber bei der Hischbrunft ergreift, kann ich allerdings immer noch nicht nachvollziehen. Es ist, wie so oft, ein Zusammenspiel aus optischen, olfaktorischen und akustischen Reizen, das das Erlebnis ausmacht und einen immer wieder auf den Auslöser drücken lässt.
Diese Frontalansicht des röhrenden Hirsches erinnert einfach zu sehr an Sid aus Ice Age, um noch respekteinflößend zu sein.
Vielleicht ist es aber auch das offen triebhafte Verhalten der Hirsche in der Brunft, welches besonders faszinierend auf die Zuschauer wirkt.
Letztlich ist es vermutlich nicht so entscheidend, ob das vorhandene Motiv nun den eigenen Vorlieben entspricht oder nicht. Wenn man sich darauf einlässt und das Licht mitspielt, kommt der Appetit beim Essen.
Was die Landschaftsfotografie angeht, so ist diese bei meinen bisherigen Besuchen immer zu kurz gekommen. Oft bin ich durch den Wald geradelt und habe gedacht, wie lohnend und reichhaltig die Motive dort doch sind, nur angehalten habe ich nie. Irgendeine tierische Attraktion diente mir als ausgewiesenem Tierfotografen immer als Ausrede dafür, mich nicht zu intensiv mit der Landschaftsfotografie zu beschäftigen. Diesen Fehler wollte ich dieses Mal nicht wiederholen und so trieb es mich ein ums andere Mal insbesondere in den Abendstunden an den Weststrand, wo ich versucht habe, das zu fotografieren, was mir ins Auge fiel. Sicher sehen die höheren Weihen der Landschaftsfotografie anderes aus, aber zumindest versuchen wollte ich es einmal.
Kraniche? Ja, Kraniche gab´s auch. Zehntausende. Und genau diese große Zahl macht auch den Reiz dieses Vogels aus. Der einzelne Kranich ist – zumindest für mich – eher unattraktiv. Die große Anzahl, sei es auf offenem Feld oder vor pittoreskem Abendhimmel, ist beeindruckend. Bei günstigem Wind fliegen die Vögel in perfekten Formationen in hoher Geschwindigkeit und scheinen die ebenfalls schnell vorbeiziehenden Wolkenformationen zu jagen.
Zudem konnte ich bei meinen Versuchen, die Kraniche zu fotografieren, auch noch etwas über die Technik der Canon EOS R5 lernen.
- Der Augen-Autofokus funktioniert auch bei Blende 8 und 1200mm Brennweite
- Die Kombination aus kamerainternem Bildstabilisator und IS des Objektivs erlaubt es, sitzend und die Kamera-Objektiv-Kombination auf den eigenen Knien abstützend, ohne Weiteres auch mit 600mm plus 2fach Konverter scharfe Bilder zu machen.
- Die Optik des 600er IS II ist so gut, dass auch mit dem optionalen internen 1,6er Crop der R5 noch wirklich sehr brauchbare Aufnahmen möglich sind. Hauptgrund dafür sind die vielen Megapixel, die auch bei 1,6er Crop noch über 20 Mp liegen und der sensorbasierte AF, der genauer ist, als der der DSLR.
Was würde mich dazu bringen, ein zweites Mal im Herbst an den Darß zu fahren? Der Wald, die Küste, das Licht auf jeden Fall. Die Hirsche? Bei den Hirschen fühlte ich mich, je länger ich vor Ort war, mehr und mehr im Thema, konnte mich darauf konzentrieren und war bei der Sache. Ich würde sie sicher besuchen, wenn ich sowieso schon einmal da wäre.
Die Faszination des Kranichs war allerdings für meinen Geschmack allzu flüchtig. Wenn ich von einer Fototour nach Hause komme, möchte ich von dem Erlebten berichten wollen und nicht schon an das nächste Motiv denken oder gar während des Fotografierens ein Motiv herbeisehnen, das mir mehr zusagt. Die Kraniche haben ihre Wirkung auf mich leider zum wiederholten Male verfehlt.