Wenn naturfotografisch nichts läuft, entweder weil das Wetter nicht mitspielt, oder die Tiere oder beides und Beruf und Familie viel Zeit in Anspruch nehmen, dann braucht man einen Glücksfall. Seit zwanzig Jahren wohnen wir in unserem Haus an der Emscher mitten im Dortmunder Süden und nie hatten wir das Glück, dass trotz der eigentlich guten Möglichkeiten für verschiedenste Spezies, sich bei uns rumzutreiben oder gar einzunisten, irgendetwas Erwähnenswertes passiert ist. Abgesehen von Ratten im Haus gegenüber und Unmengen von Katzen, denen ein ums andere mal die Rotkehlchenbruten zum Opfer fielen, gab es allenfalls durchziehende Arten, Zaungäste auf dem Weg zu ihren Revieren. Als ich allerdings in diesem April dabei war, unseren Balkon sauber zu machen, hörte ich unweit den unverwechselbaren Klang von erregt kommunizierenden Turmfalken und konnte gerade noch sehen, wie einer von ihnen aus einem Loch unter dem Dach des Nachbarhauses herausschoss.
Den ganzen Tag über blieb es ruhig und ich sagte zu meiner Frau, wie stark ich es fände, wenn die Falken wiederkommen oder sogar bei uns nisten würden. Kaum war es ausgesprochen, kamen die Falken laut rufend angeflogen und paarten sich auf halber Höhe in einer großen Birke vis à vis von unserem Arbeitszimmer. Die Birke war zu dieser Zeit noch in lichtem Grün, so dass das Treiben der Falken nicht hinter dichten Blättern verschwand.
In den folgenden zwei Wochen folgten unzählige Paarungen, zumeist in Fotografierentfernung annähernd auf Augenhöhe auf der Ostseite unseres Hauses und immer wieder inspizierten Weibchen und Männchen die Lücke unter dem Dach gegenüber, ob sie wohl als Brutplatz geeignet sei.
Schon früh konnte man den Eindruck gewinnen, dass für ihn der Brutplatz schon ausgemachte Sache war, während sie erst noch überzeugt werden musste.
Nur selten verbeugte sich das Weibchen vor der Beuteübergabe. Meist entriss sie ihm die Maus einfach.
Die Ernährung der Falken kann man guten Gewissens als einseitig bezeichnen, obwohl es zumindest unterschiedliche Mäusespezies waren.
Unzählige der kleinen Nager mussten im Rahmen der Balzfütterung ihr Leben lassen und eines Abends konnte man ein einzelnes, rotbraunes Ei in der Bruthöhle entdecken. Über die nächsten Tage und Nächte kamen weitere dazu und wir waren uns nicht sicher, ob inzwischen drei oder fünf dort lagen. Trotz der noch sehr kalten Nächte mit Temperaturen bis unter dem Gefrierpunkt begann das Weibchen erst mit der Brut, als das letzte Ei gelegt war, dann allerdings unbeirrbar und konsequent.
Der Terzel schleppte Mäuse an, übergab diese in der Regel auf der Birke, wo vormals die Paarung stattgefunden hatte und bebrütete die Eier, solange das Weibchen fraß, sich putze, streckte und einige Runden drehte.
Am 19. Juni, dreißig Tage nachdem das letzte Ei gelegt war, schlüpften die fünf Jungen. In den ersten Tagen gab es schnabelgerechte kleine Häppchen, die langsam größer wurden.
Die Verweildauer der Altvögel in der Nisthöhle richtete sich ausschließlich danach, wie lange und intensiv gefüttert werden musste. Pausen wurden über Tag nicht gemacht.
Auch wenn das Weibchen viel seltener auf die Jagd ging, als das Männchen, war sie nicht untätig, denn sie war diejenige, die etwaige Fressfeinde attackierte und von erhöhter Warte aus die Umgebung im Auge behielt.
Schon nach einer guten Woche gingen die Altvögel dazu über, die Beute von morgens an nur noch gekröpft abzulegen und am Abend zu kontrollieren, ob die Jungen in der Lage waren, die Mäuse zu zerlegen und zu fressen.
Falls sie den Eindruck hatten, dass nicht genug gefressen wurde, zerlegten sie die Beute und verteilten sie beeindruckend gerecht. Mehr als einmal konnte ich beobachten, wie das Männchen zwar mit Maus zu den Jungen flog, diese aber dann wieder mitnahm und selber fraß. Wir gönnten es ihm, denn das Pensum, das er zu absolvieren hatte, war immens.
Zu kurz kam zumindest keiner und der Einsatz der Altvögel war sowohl aufopfernd als auch effektiv. Jede Nacht saß das Weibchen auf der Pfette vor dem Eingang zur Nisthöhle und bewachte den Nachwuchs. Die Unzahl der bei uns ansässigen Elstern und Rabenkrähen, aber auch Eichelhäher und Mäusebussarde wurden von den Altvögeln lautstark und in rasantem Tempo attackiert und vom Nest ferngehalten. Auch konnte ich immer wieder beobachten, dass das Weibchen vor dem Anflug des Nestes die Umgebung genau inspizierte, um den Brutplatz für etwaige Fressfeinde nicht zu offensichtlich zu machen.
Den Nistplatz hatte das Falkenpaar dankenswerter Weise so gewählt, dass ich ihn aus den gegenüberliegenden Zimmern meiner Töchter entweder leicht von oben oder minimal von unten einsehen konnte. Die Distanz betrug ca. 16 m. Alles war möglich: entweder 400mm für die unberechenbaren An- und Abflüge, 600mm für die auf dem Dach herumturnenden, flüggen Falken oder gar 1200mm, um ins Nest zu schauen und die Jungvögel beim Versuch zu beobachten, halbe Mäuse am Stück zu verschlingen.
Ich drehte viele kurze Videoclips, machte unzählige Fotos und mit zunehmender Größe und somit Enge im Nest wuchs die Angst, einer der Jungvögel könnte herausfallen.
Dies geschah zum Glück nicht und am 10.07.2023 traute sich der erste der Kleinen auf die Pfette in ca. 60 cm Entfernung. Er blieb nicht lange dort und die Landung im rettenden Hafen bei den Geschwistern sah noch sehr ungekonnt aus. Aber das Eis war gebrochen.
Als ich zwei Tage später mit dem Fernglas einen Blick ins Nest werfen wollte, fehlten zwei Jungfalken. Ich öffnete das Fenster unseres Hauses, das dem Nestplatz gegenüber lag und fand zwei junge Falken vor, die zwischen die gläserne Absturzsicherung und das bodentiefe Fenster gerutscht waren und nicht wieder nach oben fanden.
Während es einem der beiden irgendwie gelang, sich durch einen wenige Zentimeter breiten Spalt am Boden in die Freiheit zu quetschen, war der andere zu sehr in Panik. Ich konnte ihn aber schließlich dazu bewegen, sich auf einen Holzstab zu setzten, von wo er nach einer Viertelstunde Erholung zurück zum Nest flog.
In den darauf folgenden etwa zwei Wochen bevölkerten die fünf Falken alle benachbarten Dächer und unternahmen immer weitere Ausflüge in die Umgebung. Ein weiterer Rettungsversuch verlief ebenso erfolgreich wie der erste und zwischenzeitlich wurden auch Gartengeräte und Fahrräder für Ruhepausen zwischen den noch anstrengenden Trainingsflügen genutzt. Irgendwann kamen nur noch vier von fünf abends zurück zum Nest und schließlich nur noch einer, der sich zum Übernachten auf die Pfette setzte.
Die folgende Bilderstrecke soll sowohl das Erlebte veranschaulichen, als auch etwas über die Technik verraten.
Inzwischen sind alle ausgeflogen und man kann nur hoffen, dass möglichst viele das kritische erste Jahr überleben. Und wenn wir Glück haben, kommen sie vielleicht im nächsten Jahr wieder.
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